Weihnachtsgeschichte Nacherzählung: Scrooge und die drei Geister

Weihnachtsgeschichte: Scrooge und die drei Geister (illustrierte Nacherzählung)

von Betina Graf

Weihnachtsgeschichte Nacherzählung: Scrooge und die drei Geister

Diese Version der Weihnachtsgeschichte – eine freie, kürzere Nacherzählung von Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ – könnte vielleicht genau das Richtige sein für einen netten Familienabend. Die Erzählung begleitet Ebenezer Scrooge durch seinen Heiligabend – vom grimmigen Geizhals zum warmherzigen Menschen.

Historische Original‑Illustrationen von damals1 sollen den klassischen Zauber der Erzählung bewahren und eine stimmige Brücke zwischen Tradition und vereinfachter, schnellerer Zugänglichkeit schaffen (auch wenn dadurch Dickens‘ Erzählton etwas an Intensität einbüßen muss).

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Kurzüberblick zur Weihnachtsgeschichte mit Scrooge

Eine moderne, kindgerechte Nacherzählung nach Charles Dickens’ „A Christmas Carol“. Altersrichtwert: 8 bis12 Jahre. Diese Fassung ist kürzer und will trotzdem dem Kern der Erzählung treu bleiben.

KriteriumKlassifizierung
Gehört zuWeihnachtsgeschichten, klassische Literatur (Nacherzählung); Vorlesegeschichten; Familiengeschichten; Geister-/Fantasiegeschichte (behutsam); Schul- und Theaterarbeit (Szenenarbeit möglich)
KontextIdeal für Familienabende, Schulklassen (Deutsch/Ethik/Religion), Adventslesungen, Nikolaus-/Weihnachtsfeiern
AltersgruppeCa. 6 – 12 Jahre; Vorlesen ab 6 (mit kurzen Pausen für Gespräch), selbst lesen ab ca. 8 – 10. Auch Jugendliche und Erwachsene finden Zugang – besonders durch die historischen Original‑Illustrationen.
ThemaMitgefühl und Großzügigkeit; Verantwortung füreinander; Einsamkeit vs. Gemeinschaft; Reue, Vergebung und zweite Chancen; Armut und soziale Gerechtigkeit; Hoffnung und Dankbarkeit
Protagonist*innenEbenezer Scrooge; Bob Cratchit; Tiny Tim; Fred (Neffe); Jakob Marley (Geist); Geist der vergangenen Weihnachten; Geist der gegenwärtigen Weihnachten; Geist der zukünftigen Weihnachten; Nebenfiguren: Herr Fezziwig, Belle, Spendensammler
BotschaftenJeder Mensch kann sich ändern – auch spät.
Mitgefühl und Großzügigkeit wärmen mehr als Geld.
Verantwortung beginnt im Kleinen (vor der eigenen Tür).
Weihnachten als Haltung: Freundlichkeit an jedem Tag.

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Weihnachtsgeschichte über Scrooge und die drei Geister

Weihnachtsgeschichte Scrooge und die drei Geister, hier zwei Geschäftsmänner und der Teufel

Weihnachtsgeschichte Nacherzählung Scrooge und die drei Geisiter von Betina Graf

Marley war tot – daran ist nicht zu rütteln. Im Kirchenregister stand es, der Bestatter wusste es, der Geistliche versah seinen Dienst, und Scrooge wusste es am besten von allen; denn wenn jemand verstand, was endgültig ist, dann der Mann, der ständig mit Geldsummen verkehrt. Und doch – lassen Sie uns nicht vorgreifen!

Es war ein Heiligabend, wie er London gut steht: Nebel, so dicht, dass er die Straßenlaternen zu blassen Kreisen im Dunst werden ließ. In der Zählkammer saß Ebenezer Scrooge, dürr an Leib und munter an Zahlen, und schrieb mit einer Feder, deren Kratzen jeden warmen Gedanken aus dem Raum fegte.

Im Nebenwinkel – man kann es kaum „Zimmer“ nennen – saß Bob Cratchit, sein Schreiber, und hielt die Finger an eine so kümmerliche Flamme, als schämte sich diese, Flamme zu heißen. „Frohe Weihnachten, Mr. Scrooge“, wagte Bob zu sagen, ohne aufzublicken.

„Weihnachten!“, rief Scrooge, als habe man ihm einen Dorn in den Stiefel getrieben. „Bah! Humbug! Was ist Weihnachten anderes als eine Rechnung, die sich nicht bezahlt? Wenn ich entscheiden dürfte, jeder Narr, der mit ›Frohe Weihnachten‹ auf den Lippen herumläuft, sollte …“ – hier hielt er inne, nicht aus Milde, sondern um seinen Zorn hinunterzuschlucken.

In dem Moment trat Fred, Scrooges Neffe, herein. „Onkel! Es ist Weihnachten – und wenn es jemals einen Tag gab, an dem es uns leichter ums Herz werden darf, dann heute. Kommen Sie zu uns! Es gibt Punsch, Lieder und – vor allem – fröhliche Menschen.“

„Menschen kosten Geld“, knurrte Scrooge. „Behalten Sie Ihren Punsch, wenn er Ihnen so wichtig ist. Verschonen Sie mich mit dem Gerede vom gemütlichen Sitzen am Ofen und vom lauten Lachen.“

„Ich lache gern“, sagte Fred, gar nicht getroffen. „Und wenn ich darüber arm werde, will ich’s gern bezahlen.“ Er grüßte Bob herzlich und ging, weihnachtliche Heiterkeit wie eine Laterne vor sich hertragend.

Kaum war er zur Tür hinaus, standen zwei Herren in Mänteln im Eingangsbereich, mit Federkiel und Spendenliste in der Hand. „Eine kleine Gabe für die Bedürftigen, Sir – Kohle, Essen, ein Obdach gegen Wind und Wetter.“

„Gibt es keine Armenhäuser?“, fragte Scrooge. „Keine Gefängnisse?“ Scrooge erklärte, er habe seine Steuern entrichtet und sehe sich von weiterem Mitgefühl entbunden. Die Herren seufzten und verließen Scrooge unverrichteter Dinge.

Draußen sang ein Junge ein Weihnachtslied – ein dünner Ton gegen den Nebel. Scrooge schloss die Tür, um es nicht zu hören. Der Ton verstummte, als habe die Nacht selbst ihn verschluckt.

Später, als Scrooge die Kasse schloss, bat Bob darum, am Feiertag frei zu bekommen. „Nur einmal im Jahr, Sir.“

„Einmal im Jahr werde ich bestohlen“, murrte Scrooge. „Sei’s drum. Aber am Tag danach sind Sie früher da – um das Versäumte aufzuholen.“ Bob dankte, als hätte man ihm einen Schatz auf den Tisch gelegt, und verschwand wie ein glücklicher Schatten.


Weihnachtsgeschichte: Bob Cratchit hat Spaß

Bob war vom zugesagten Feiertag so beglückt, dass er in Cornhill einbog und dort vorfand, was halb London an kalten Tagen aufzusuchen pflegte: eine blankpolierte Eisrinne am Bordstein, von Jungenstiefeln spiegelglatt getreten.

Er stellte sich lachend ans Ende der Schlange, rutschte – den Hut in der Hand, den Schal wehend wie eine Fahne – hinab, kam mit roten Wangen und keuchendem Lachen unten an und lief gleich wieder hoch. Zwanzigmal, nicht weniger, tat er’s – zu Ehren des Heiligabends! Dann setzte er den Hut wieder auf, blies in die Handschuhe und machte sich, noch immer lächelnd, heim zu den Seinen.


Weihnachtsgeschichte: Scrooge kommt zuhause an

Scrooge ging ebenfalls heim. Vor seiner Haustür – eine alte Tür, die schon viele Winter sah – blieb er stehen. Der Messingknauf zeigte einen Herzschlag lang ein Gesicht: blass, von Tüchern gehalten, die Augen kalt – sein verstorbener Geschäftspartner Marley! Scrooge blinzelte ungläubig; dann war der Knauf wieder rein aus Messing. „Nur Nebel vor den Augen“, brummte er und schob den Riegel vor.

Im selben Augenblick begannen die Uhren des Hauses zu schlagen. Zunächst kaum vernehmbar aus der Ferne, dann deutlich und nah, fast als käme der Ton durch Stein und Mörtel, bis er den ganzen Raum erfüllte – und gleich danach hörte er ein Geräusch, das von keiner Uhr stammen konnte: Ketten, die näher kamen, langsam, gewiss, unaufhaltsam.


Weihnachtsgeschichte: Scrooge mit Geist von Jakob Marley

Die Tür öffnete sich – ohne Hand, ohne Schlüssel. Jakob Marley trat ein, durchsichtig wie Glas im Frost, und doch nicht zu verkennen, mit einer Kette um den Leib, in deren Gliedern Schlüssel, Geldkassetten und Quittungsbücher klirrten.

„Scrooooge“, sagte er, und der Name beschlug die Luft. „Siehst du meine Ketten? Ich habe sie mir im Leben geschmiedet: Glied um Glied aus kaltherzigen Entscheidungen und verweigerter Barmherzigkeit. Deine ist schon länger!“

„Marley“, brachte Scrooge hervor, „du bist … du bist …“ – „Tot“, half Marley kühl. „Und doch nicht frei. Ich komme, dich zu warnen: Noch ist die Stunde, wo sich dein Schicksal wenden kann. Heute Nacht erwarten dich drei Geister. Ohne sie bist du verloren, mit ihnen …“ Er ließ den Satz hängen, wie man einen Mantel über eine Stuhllehne wirft.


Weihnachtsgeschichte: Scrooge und die Geister auf der Straße

Dann wies er zum Fenster, und Scrooge sah – o Schreck! – die Straße voller Geister, die ihre Arme nach Menschen streckten, denen sie im Leben hätten helfen können, und nun nicht einmal deren Wärme fühlen durften.

Als der Nebel die Schemen verschluckte, verschwand auch Marley. Die Stille kehrte zurück, aber sie war nicht dieselbe; sie roch nach Furcht. Scrooge ging eingeschüchtert, ohne das Licht zu löschen, zu Bett.


Der Geist der vergangenen Weihnachten

Mitternacht glitt wie ein kalter Schatten durchs Zimmer. Die Vorhänge wurden zurückgezogen und ein seltsamer Geist stand da – wie ein Kind und doch wie ein Greis, mit hellem Blick und ernstem Mund. „Steh auf, Ebenezer Scrooge, und folge mir“, sprach er in einer Stimme, die nach Kindheit und Winter klang.

Sie flogen – nein, nicht wie Vögel, eher wie Gedanken – über die Stadt hinweg aufs Land, zu einem Internat, dessen Fenster wie frierende Augen in die Nacht sahen. In einem langen, kalten Saal saß ein Knabe allein zwischen hohen Stühlen und trug tapfer ein Lächeln, damit die Stille ihn nicht ganz auffräße. Scrooge kannte ihn. „Ich“, flüsterte er, und das Wort tat ihm weh.

Die Tür flog auf. Fanny, seine kleine Schwester, stürmte herein: „Bruder! Vater lässt dich heim – du musst nicht mehr ins Internat zurück! Er ist freundlicher geworden, ganz gewiss!“ Der Knabe sprang auf, und wer dieses Lächeln sah, glaubte für einen Augenblick an Wunder.


Weihnachtsgeschichte mit Scrooge, hier Mr. und Mrs. Fezziwig beim Tanz

Die Szene wandelte sich. Eine Werkstatt, hell, warm, mit Bändern und Lichtern. Herr Fezziwig klatschte in die Hände. „Auf die Seite mit den Tischen, meine Freunde! Musik her! Heute tanzen wir das Jahr fort!“

Und sie taten es, mit einer Freude, die die Holzbretter am Boden zum Schwingen brachte. Der junge Scrooge tanzte, lachte, vergaß die Zeit; der alte Scrooge – unser Scrooge – sah zu und murmelte: „Wie wenig es braucht, um so viel Freude zu schenken.“


Weihnachtsgeschichte: Belle mit Kindern

Wieder ein Szenenwechsel. Draußen fiel der Schnee, drinnen stand Belle, deren Augen freundlich und entschieden zugleich blickten.

„Ebenezer“, sagte sie leise, „zwischen uns hat sich ein anderer Geist breitgemacht: das Streben nach Geld. Unser Bund war Liebe; du hast ihn gegen Sicherheit und Gewinn eingetauscht. Ich lasse dich frei.“ Sie wandte sich ab; stumme Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Nicht weiter“, bat Scrooge den Geist, und der Bittende war plötzlich der, der sonst erbarmungslos Rechnungen stellte.


Weihnachtsgeschichte mit Scrooge, hier: Belles Vater kommt heim

„Nur dies noch“, sprach der Geist. Ein familiäres Zimmer: ungestüme Kinder und Belle lachend mittendrin. Da sprang die Tür auf und Belles Ehemann trat ein, begleitet von einem Träger, der mit einem Korb voller Weihnachtsgeschenke beladen war.

Sofort wurden Hocker zu Leitern, der reich gefüllte Korb geplündert und der arme Träger dabei fast erdrückt vor Glück. Jedes Paket brachte ein neues „Oh!“ und „Ah!“.

Als der Wirbel sich legte und die Kinder die Treppe hinaufwanderten, setzte sich der Ehemann zu Belle ans Feuer. „Ich sah heute einen alten Freund von dir durchs Fenster seines Kontors … Mr. Scrooge,“ erzählte er ihr leise. „Er saß ganz allein im Büro. Sein Geschäftspartner Marley liegt im Sterben, so heißt es.“ Das Knistern der Flammen wurde lauter, und für einen Atemzug hielt das fröhliche Haus den Atem an.

„Führ mich heim“, bat Scrooge leise. Der Geist nickte – und die Nacht nahm ihn wieder in sich auf.


Der Geist der gegenwärtigen Weihnachten

Als es eins schlug, brach ein Lachen durch die Wand. Scrooge schrak im Bett auf. Widerwillig stand er auf und begab sich – Schlimmes ahnend – recht zögerlich ins Wohnzimmer. Ein anderer Geist erwartete ihn dort schon, übergroß, von grünem Mantel umwogt, eine Krone aus Stechpalmen auf dem Haupt, und in seinen Händen eine brennende Fackel .

„Fasse mein Gewand!“, sprach der Geist; Scrooge tat, wie ihm geheißen, und hielt es fest. Sie gingen – unsichtbar – durch Märkte, wo Gänse an den Haken hingen und Äpfel rot und prall in Körben lagen, und die Händler so laut priesen, dass selbst der Nebel beiseite wich. Wo der Geist seinen Saum streifte, wurde die Welt – ich übertreibe nicht – ein kleines bisschen heller.

Dann hielt er in einem bescheidenen Häuschen: Bobs Haus. Mrs. Cratchit brachte eine kleine Gans herein, als wäre sie eine Königin, Martha kam heim, Belinda trug den Pudding mit ruhmreicher Miene, Peter fischte mit der Gabel die Kartoffeln aus dem Topf, und Tiny Tim setzte sich, leicht wie ein Vogel, auf seinen Platz – seine kleine Krücke angelehnt an den Tisch. Sie sprachen Dank; und Tim fügte mit kaum vernehmbarer, brüchiger Stimme hinzu: „Gott segne uns – uns alle.“

„Geist“, fragte Scrooge, als würde ihm jemand die Kehle zudrücken, „wird der Junge am Leben bleiben?“

Der Geist sah ernst auf die Flamme der Kerze, die auf dem Tisch der Familie stand. „Ich sehe einen leeren Stuhl und eine Krücke ohne Besitzer, wenn sich nichts ändert – bei ihm und bei dir.“

Scrooge hob die Hand, als wolle er etwas kaufen, das nicht feilgeboten wird. „Lass es nicht geschehen!“


Weihnachtsgeschichte mit Scrooge, hier Freds Weihnachtsgesellschaft

Sie reisten weiter, und nach wenigen Zwischenstopps hielten sie bei Freds Weihnachtsgesellschaft. Wenn je ein Raum den Winter vergaß, dann dieser: Kerzen flackerten, das Klavier hielt die Hände warm, und Heiterkeit machte schneller die Runde als der Punsch.

Kaum waren Stühle an die Wände gerückt, band man einem Herrn den Schal über die Augen. „Blinde Kuh!“ rief man, und schon tappte die „Kuh“ los – beide Arme vorgestreckt, als wolle sie die Luft fassen. Es war ein herzlicher Jubel: man huschte knapp vorbei, ließ die Gardinen rascheln, kicherte hinter Türpfosten, und wer gefangen schien, entglitt doch wieder wie ein nasser Fisch.

Fred klatschte im Takt, seine Frau lachte und rang die Hände, und ein Herr – man nannte ihn Topper, ob zu Recht oder zum Spaß – ließ sich gerade so sehr in eine Ecke treiben, dass die Blinde Kuh fast sicher war; im letzten Augenblick duckte er sich fort, und die Hand der Suchenden griff nur ins Leere. „Ich hab dich!“ – „Wen?“ – „Topper!“ – „Falsch!“

Wenn Sie glauben, Scrooge habe dieser Tollerei kalt zugesehen, irren Sie nur halb: ein Lächeln zuckte ihm um die Mundwinkel – gegen seinen Willen! Man hätte schwören können, dass sein düsterer Gesichtsausdruck für einen Atemzug wich.

Sogleich rief Fred ein Spiel aus, das jedermann versteht: Ja und Nein. Einer denkt sich etwas; die Gesellschaft fragt, und es sind nur Antworten gestattet, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können.

Fred dachte einen Augenblick nach – man sah es seiner Stirn an – und lächelte. „Ist es ein Tier?“ – „Ja!“ – „Lebt es in London?“ – „Ja!“ – „Brummt es?“ – „Und wie!“ – „Es ist mein Onkel Scrooge!“ – „Treffer!“ Alle lachten, jedoch ohne Bosheit. Fred hob sein Glas: „Auf sein Wohl! Möge er gesund bleiben und Heiterkeit beim ihm einkehren – und nicht wieder fortgehen.“

Zum Schluss hob der Geist den Mantel. Darunter kauerten zwei Kinder, abgemagert bis auf die Knochen: Unwissenheit und Not. „Sie gehören der Menschheit“, sagte der Geist, „und wer sie verleugnet, erntet, was er sät. Hüte dich vor der Unwissenheit: Sie frisst die Zukunft kälter als Frost.“

Das Lachen und alle Fröhlichkeit erstarben. Der Mantel wurde zum Nebel. Und Nebel gönnt keinem das letzte Wort.


Der Geist der künftigen Weihnachten

Als die Glocke zwei schlug, stand er da: ein stummer Geist, furchterregender als die schwärzeste Nacht, und zeigte mit einem langen Finger. Kein Wort – nur das Deuten, und das wog schwerer als alles Reden.

Sie standen an einer Ecke: Geschäftsleute sprachen mit jener Gemessenheit, die man für Anstand halten kann, wenn man selbst nicht betroffen ist. „Hast du’s gehört?“ – „Gewiss.“ – „Wann ist das Begräbnis?“ – „Ich gehe hin, wenn es ein Mittagessen gibt.“ – „Ha!“ – Ende der Anteilnahme.


Weihnachtsgeschichte von Scrooge, hier Joe und die anderen

Danach: eine schäbige Gasse; ein Laden mit Eisen, Lumpen und namenlosem Trödel. Der alte Joe saß am Tresen. Nacheinander traten drei Personen ein: die Haushälterin, die Wäscherin und der Gehilfe des Leichenbestatters.

Sie kippten aus, was sie dem Toten abgenommen hatten: Bettvorhänge, Hemden, Löffel – sogar das Hemd, das der Tode im Sarg trägt. „Er hat zu Lebzeiten keinen herzlichen Blick verschenkt“, sagte die Haushälterin, „warum sollten wir heute mitfühlend sein?“ Der alte Joe zählte die Münzen und ließ sie auf den Holztresen fallen; jedes Klirren klang wie ein Schlussstrich.

„Geist“, flüsterte Scrooge, „dieser Mann – hatte er keinen Freund?“ Der Geist schwieg; sein ausgestreckter Finger blieb die einzige Antwort.

Ein Zimmer. Auf dem Bett lag ein Toter unter einem glattgezogenen Tuch. Niemand war da, ihn zu betrauern. Scrooge wollte das Tuch heben – seine Finger gehorchten nicht. „Zeige mir einen Tod, der Trauer verdient“, bat er, und seine Stimme war die eines Mannes, der sein Spiegelbild fürchtet.

Der Geist gehorchte. Sie betraten die Stube der Cratchits. Neben dem Kamin stand eine kleine Krücke. Bob strich sich die Mütze glatt, suchte traurig die Augen der Seinen und wählte seine Worte mit Bedacht. Tiny Tim war fort.

„Genug“, stieß Scrooge hervor – und wusste doch, dass nichts genug ist, ehe man sein eigenes Ende gesehen hat. Sie traten auf den Kirchhof; still lag er da, überwuchert und eng von Häusern umstellt. Der Geist stand zwischen den Gräbern und zeigte.

Scrooge schlich zitternd näher. Der Finger blieb reglos auf einen ganz bestimmten Stein gerichtet. Da folgte Scrooge dem stummen Hinweis – und las auf dem vernachlässigten Grabstein seinen eigenen Namen: EBENEZER SCROOGE.

Da brach Scrooges Trotz wie altes Holz. „Sind dies Schatten dessen, was sein wird, oder nur dessen, was sein kann? Bin ich noch zu retten – nicht mit Geld, sondern mit Reue? Lass mich anders sein – ich will mich ändern, ich werde mich ändern!“

Der Geist schwieg. Und doch war es, als hielte die Nacht den Atem an.


Der Morgen der Gnade

Licht. Klang. Leben. Scrooge fuhr hoch, als hätte ihn die Sonne persönlich heftig an der Schulter gerüttelt. „Ich lebe!“, rief er, und glauben Sie mir: Nie war ein Ausruf ehrlicher gemeint. Er sprang ans Fenster. Unten stand ein Bursche.

„Du dort! Welcher Tag?“ – „Weihnachten, Sir!“ – „Der große Truthahn in der Schaufensterauslage – hängt er noch?“ – „Der Riesige, Sir? So groß wie ich!“ – „Bring ihn zu Bob Cratchit. Hier ist Geld – und hier noch mehr, wenn du rennst wie der Wind!“ Der Junge schoss davon.

Scrooge lachte – erst rostig, dann wie ein klarer Glockenton. Er zog den guten Mantel an, trat auf die Straße und verteilte „Frohe Weihnachten“ wie ein Mann, der entdeckt hat, dass warme Worte glücklich machen können. Manche kannten ihn und starrten ihn an; manche nickten und lächelten, als hätten sie es immer gewusst.

Er traf einen der gestrigen Spendensammler. „Mein Herr“, begann Scrooge und räusperte sich vor Scham, „mein Verhalten gestern war – nennen wir es kurz – unchristlich. Dürfte ich es mit einer Summe berichtigen, die – ?“ Die zwei Herren vom Wohltätigkeitsverein nannten sie später „stattlich“.

Scrooge ging in die Kirche und danach klopfte er bei Fred. „Wenn die Einladung von gestern noch steht …“ – „Onkel!“, rief Fred, und was dann geschah, war eine Umarmung, so echt und froh, dass Scrooge für einen Moment vergaß, jemals kaltherzig gewesen zu sein; und ehe er’s merkte, saß er mitten unter der fröhlichen Gesellschaft am festlich gedeckten Tisch.


Weihnachtsgeschichte Scrooge und Bob Cratchit

Am nächsten Morgen saß Scrooge früher als gewöhnlich im Kontor. Als Bob – verzeihen wir’s ihm – ein wenig zu spät kam, legte Scrooge die Stirn in Falten, die schon lange geübt waren. „Mr. Cratchit! Was nennen Sie – …“

Er hielt inne, und es geschah etwas Seltsames: Seine Falten verlernten, Falten zu sein. „ … ich nenne es mein Versäumnis. Ich habe Ihnen zu wenig gezahlt und zu viel gefordert. Von heute an gibt es mehr Kohle, mehr Gehalt und – wenn Sie erlauben – mehr Sorge um Tiny Tim.“

Bob ließ sich auf den Stuhl fallen, weil seine Knie weich wurden. Freudentränen fanden ihren Weg; dann umschloss er mit beiden Händen die Tischkante, als müsse er Halt in dieser unerwarteten Freude finden.

Scrooge hielt Wort. Er wurde ein guter Freund und ein besserer Chef.

Und Tim? Die kleine Krücke staubte ein, und sein Ruf – „Gott segne uns – uns alle!“ – klang oft genug, um noch die finsterste Ecke in Scrooges altem Haus zu erhellen.

Tims Gesundung war kein Wunder über Nacht, sondern beruhte auf einfachen Hilfen: ein Ofen, der nicht mehr ausging; Suppe, die nicht verdünnt werden musste; Schuhe, die passten; ein Arzt, der kam, weil man ihn jetzt bezahlen konnte.

Man sagte, Scrooge habe von da an gewusst, wie man Weihnachten im Herzen trägt – nicht als Feiertag, sondern als Haltung. Und wem das zu pathetisch klingt, dem sei versichert: In einer Welt aus Zahlen ist es das größte Wunder, wenn plötzlich nicht mehr die Zahl, sondern der Mensch zählt.


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Die Moral von der Geschichte über Scrooges Verwandlung

Und die Moral von der Geschichte: Niemand ist verloren. Auch ein verhärtetes Herz kann durch Einsicht erweichen. Wer sich seinen Fehlern stellt und sein Herz für andere öffnet, kann sich ändern – und macht die Welt wärmer als jedes Feuer im Ofen.

Wenn Sie mehr Zeit haben und den Charme der Original-Erzählung lieben, hier der Link zum englischen Original und ein Link zur deutschen Übersetzung von „A Christmas Carol“, beides publiziert im Gutenberg-Projekt:

A Christmas Carol – Original auf englisch A Christmas Carol – deutsche Übersetzung


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Weihnachtsgeschichte über Scrooge und die drei Geister
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  1. Adventsgeschichte: Mäuschen Mikas „brennender“ Wunsch

Fußnote

  1. Die Illustrationen sind von Arthur Rackham, 1915. ↩︎