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Seelenbaum als Seelenbild

Seelenbild als innere Landkarte der Persönlichkeit

Interview mit Johanna Wagner

Interview von Betina Graf mit Johanna Wagner über die Idee des gemalten Seelenbildes als Landkarte der eigenen Persönlichkeit.

Interview zum Seelenbild in Form eines Baumes

Viabilia: Zunächst einmal die grundsätzliche Frage: Was ist ein Seelenbild bzw. eine Landkarte der Persönlichkeitsanteile?

J.W: Das von mir gemalte “Seelenbild”, das ich als Seelenbaum gestaltet habe, stammt im Grunde aus der Trauma-Therapie, bei der man davon ausgeht, dass es einzelne Ego-States gibt, also verschiedene Ich-Anteile, die wirksam werden und die in verschiedenen Lebenssituationen zum Vorschein kommen.

Das habe ich als Ausgangspunkt genommen, um zu schauen, was in mir denn alles da ist.

Das Seelenbild in seiner kompletten Form

Hier zunächst das Seelenbild in Form eines Seelenbaumes komplett dargestellt:

Seelenbild - persönlich gemaltes Seelenbild in Form eines Baumes
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., "Seelenbild - Seelenbaum", CC BY-NC-ND 4.0

Viabilia: Ego-States? Was bedeutet das?

J.W.: Ego-States sind Ich-Zustände, ein typischer Begriff aus der Trauma-Therapie, wo man versucht, traumatisierte Menschen dazu zu bringen, genau anzuschauen, was in ihnen drinnen ist: konstruktive Teile, destruktive Teile, unverständliche Teile, die in verschiedenen Situationen, also wenn es zum Beispiel Gefahrenmomente gibt, angetriggert und wieder aktiv werden. Es wird innerlich bewusst gemacht, was da eigentlich passiert, damit nicht nur automatisch „das Pferd davongaloppiert“ und man weiß gar nicht, was jetzt eigentlich in einem geschieht.

Ego-State-Therapie

Die Ego-State-Therapie (englisch: ego state therapy, lateinisch ego ‚ich‘, englisch state ‚Zustand‘) ist eine psychotherapeutische Methode aus der Traumatherapie. Sie wurde von John Watkins und Helen Watkins entwickelt.

Menschen, die seelisch schwer verletzt wurden (Trauma), entwickeln zum Schutz ihrer Persönlichkeit Mechanismen gegen die mit der Verletzung verbundenen Schmerz- und Angstgefühle. Einige tun dies, indem sie ihre Persönlichkeit in verschiedene Ich-Anteile (englisch: Ego States) „aufteilen“. Dies geschieht zunächst fast immer unbewusst. Die Ego-State-Therapie hilft den Betroffenen, diese Ich-Anteile wieder besser in Richtung einer ganzheitlichen Persönlichkeit miteinander zu verbinden.

Viabilia: Erzähle bitte einmal die Entstehungsgeschichte deines Seelenbildes.

J.W.: Ich habe zunächst geschaut, was überhaupt an Persönlichkeitsanteilen in mir sein könnte. So habe ich erst einmal vom Kopf her alles gesammelt und den verschiedenen Persönlichkeitsanteilen einen Namen gegeben.

Der untere Kreislauf im Seelenbild

J.W.: Angefangen habe ich mit vielen eher negativen Teilen. Also mit dem verletzten Teil aus meiner Kindheit, der eine sehr große Rolle gespielt hat. Dann der Wut-Teil, der sich daraus gebildet hat. Durch viele Verletzungen bekommt man Wut, die ich lange Zeit unterdrückt hatte, und die deshalb nicht freigesetzt werden konnte. Aber in letzter Zeit habe ich den Wut-Teil vermehrt gespürt, und von daher hat er eine große Repräsentanz erhalten.

Seelenbild: Wut und Verletzung
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild Ausschnitt "Wut, Verletzung und Bestrafung", CC BY-NC-ND 4.0

Strenger, strafender Teil – Wurzeln und Struktur

Neben dem verletzten Teil und dem Wut-Teil gibt es den strafenden Teil, der eigentlich den Eltern-Teil beinhaltet: Eltern, die streng sind, die strafen, die Verbote aussprechen, die vielleicht sogar schlagen, die sich destruktiv verhalten, so dass viel Verletzung entstehen kann.

Bei dem strengen Teil geht es auch um Ehrgeiz im Sinne: “Du darfst nicht! Du musst! Wehe, wenn Du es nicht schaffst!”. Es geht auch um Leistungsthemen. Eltern verlangen oft viel von einem und haben gewisse Erwartungen.

Die Idee des Baumes ist allerdings viel später gekommen. Zunächst habe ich die Kreise der Persönlichkeitsanteile gemalt, die ich in mir gespürt habe, aha, da ist etwas, das empfinde ich so.

Das Ganze hat eine Kehrseite: Es ist nicht so, dass das Strenge durchgehend negativ ist, es hat auch etwas Strukturierendes. Es ist eine Grundlage dafür, dass eine Struktur entstehen kann, also ein Boden, worauf etwas aufgebaut werden kann, als Positives.

Deshalb ist dieser strenge Teil eng verbunden mit Boden, Wurzeln, Ursprungsfamilie, was also zu dem verbildlichten Stamm dazu gehört. Der strenge Teil liegt von daher ganz nah bei diesem Stamm.

Seelenbild: Wurzeln

Sensibler, analysierender und ausgleichener Teil, der alles zusammenhält

Sensibler Teil vom Seelenbild bzw. Seelenbaum
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild "Sensibler Teil", CC BY-NC-ND 4.0

In diesem unteren Kreis mit den vier Haupt-Kreisen ist der sensible Teil der Hauptteil, von dem ich glaube, dieser entspricht meiner Natur am meisten: die Sensibilität und Feinfühligkeit, die ich mitbringe. Mit Hilfe des sensiblen Teils bin ich mit den anderen Teilen umgegangen.

Im Nachhinein war ich mit dem Begriff sensibler Teil gar nicht so zufrieden, weil ich gemerkt habe, dass das eigentlich ein analysierender Teil ist, also nicht nur ein fühlender Teil, der wahrnimmt, was ist, und sich darauf einstellt, sondern auch ein überlegender Teil, der ergründen will: “Warum verhält sich die Person, der Vater, die Mutter, so?” Das Verstehenkönnen war für mich immer etwas ganz, ganz Wichtiges. Den Verhaltensweisen eine Ordnung zu geben, indem ich sie verstehe. Das war für mich etwas Überlebensnotwendiges. Ohne das Verstehen wäre alles sinnlos erschienen. Und ohne Sinn und Orientierung hätte ich irgendwann aufgegeben.

Insofern ist der sensible Teil auf dem Bild völlig unterrepräsentiert, er müsste vier, fünf Mal so groß sein.

(Wir lachen.)

Eigentlich ist dies der wichtigste Teil, denn dieser Teil ist das Zentrum, das alles zusammenhält. Wenn dieser Teil nicht wäre, gäbe es ein pures Chaos.

Dieser Teil bekommt Druck von allen Seiten, wie man im Bild deutlich sieht: Er ist mit allen Teilen verbunden, mit dem verletzten Teil durch das Verstehen, dann mit dem Wut-Teil durch das Analysieren und mit dem strengen Teil über den Leistungsdruck. In alle Richtungen geht es um Analysieren und Ausgleichen. Er könnte somit auch ausgleichender Teil genannt werden.

Im Grunde ist das etwas, was ich empfinde: Dieser innerste Teil – der sensible, analysierende und ausgleichende Teil fühlt sich oft sehr unter Druck, sehr ausgelaugt, schwach und kaputt. Aber wie man sieht, ist das verständlich, da dieser Teil so viel “zu schuften” hat.

(Wir lachen.)

Am Anfang meiner Zeichnung sah es so aus, als ob der sensible Teil schweben würde, aber so ganz schwebend ist er in Wirklichkeit doch nicht. Er hat eher die Funktion einer Knautschzone, denn er bekommt von allen unteren Teilen viel Druck und muss diesen wie gesagt ausgleichen.

Manchmal drängt sich mir die Frage auf: “Wer bin ich eigentlich?” oder “Was ist mein Ich?”. Es gibt Momente da habe ich das Gefühl, dass dieses “Ich” untergeht. Ich kann mich in alles hineinversetzen, aber weiß bei entsprechender Gemütsverfassung in manchen Momenten nicht genau, wer ich bin oder wie ich wirklich bin:

Seelenbild: Frau auf Einhorn
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild Ausschnitt "Frau auf Einhorn", CC BY-NC-ND 4.0
  • Bin ich schwach und verletzlich (verletzter Teil)?
  • Oder könnte ich vor Wut überschäumen (Wut-Teil)?
  • Oder wie die Frau auf dem Einhorn, davongaloppieren und voller Tatkraft die Welt verändern (Wut-Teil)?
  • Oder bin ich ganz rational, strukturiert und ehrgeizig und tue das, was ich tun muss, also ziemlich erfolgsorientiert (strenger-strukturierter Teil)?
  • Oder bin ich eher eine, die die Dinge locker und flexibel angeht, sich treiben lässt und ihren spontanen Einfällen folgt (kreativer Teil)?
  • Oder bin ich in erster Linie doch mehr die Liebenswürdige, Mitfühlende, die immer ein offenes Ohr für andere hat (liebender Teil)?

Verletzter Teil, der zum Nachdenken führt

Viabilia: Was bedeuten die “Blüten” um die Kreise?

J.W.: Ja, es gibt viele Blüten, die um die Kreise herum entstehen, zum Beispiel um den Kreis des verletzten Teils: Einsamkeit, Selbstzweifel, Angst, Traurigkeit, ein Gefühl von Heimatlosigkeit, Gefangenschaft … d. h. viele Sachen, die in Richtung Depression, sich unterdrückt fühlen, eingesperrt fühlen, sich misshandelt fühlen oder auch misshandelt worden sein (es ist stets eine Mischung aus dem, was passiert ist, und dem, was als Gefühl zurückgeblieben ist) gehen.

Viabilia: D. h. tatsächliche Erlebnisse kristallisieren sich in Form von Blüten als Gefühle heraus, die geblieben sind?

J:W.: Ja, und wenn man jetzt nur den verletzten Teil nimmt, dann spiegelt dieser eine große Isolation wieder. Es ist wie ein Leben in der Hölle, wo man nicht rauskommt. Es gibt keinen Ausweg in diesem Gefühl, es ist als wäre man schon immer da gewesen und so als ob man immer dort bleiben müsste. Bei dem strengen Teil liegt der Wärter, der dafür sorgt, dass alles zusammengehalten wird, und es auch von daher im Feststecken im verletzten Teil gefühlt kein Entrinnen gibt.

Seelenbild: verletzter Teil
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild "Verletzter Teil", CC BY-NC-ND 4.0

Hoffnungsschimmer Spiritualität

Seelenbild: spiritueller, glaubender Teil
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild "Verbindung zum spirituellen Teil", CC BY-NC-ND 4.0

Es ist natürlich so: Wenn man das Gefühl hat, in Gefangenschaft zu leben, hat man doch Hoffnungsschimmer. Vergebung ist ein Aspekt, der später eintreten kann. Es entsteht viel Sehnsucht, die Sehnsucht nach etwas Anderem, nach Alternativen, nach Dingen im Leben, die einfach gut sind und einen nicht zur Verzweiflung bringen.

Die Suche nach einer Erlösung ist da. Deshalb führt dieser Teil in den glaubenden, spirituellen Teil. Hier liegt die Beschäftigung mit religiösen und spirituellen Dingen. Wie könnte ein gutes und liebevolles Leben sein, und gibt es ein Leben danach? Wie kann dieses “Andere”, wenn man verzweifelt ist, in sein eigenes Leben in Form von lichtvoller Hoffnung hineinwirken, sozusagen Sonnenstrahlen ins Gefängnis bringen? Vor allem die Sehnsucht nach Liebe in diesem “schrecklichen” Leben hat im verletzten Teil seinen Ursprung.

Wut-Teil, der voran treibt

Seelenbild: Wut-Anteil, der vorantreibt
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Wut-Anteil“, CC BY-NC-ND 4.0

Wo Verletzung ist, entsteht Wut: Wut darauf, nicht entkommen zu können, Wut, ausgeliefert zu sein, Wut, dass die Dinge so sind und sich nicht so einfach verändern lassen. So ist dieser Wut-Anteil im Anschluss entstanden. Er bringt eine gehörige Kraft mit sich, er kann wie ein Vulkan sein, mit einer Eruption, die alles herausschleudern will (sehr selten, aber es kann vorkommen).

Das hat viel Positives, aber auch Schwieriges: Ich mache mich z.B. zum Märtyrer, indem ich aktiv in die Welt hinausgehe und andererseits aber im Kampf gegen Widrigkeiten und für das Gute Blessuren einstecke und viel mit mir machen lasse, was ich vielleicht unterlassen sollte. Der Umgang mit der Wut kann manchmal auch selbstdestruktiv sein, d.h. wenn man die Wut gegen sich selber richtet. Weil ich Wut als etwas sehr Negatives erlebt habe, hat Wut bei mir selbst überhaupt nicht sein dürfen. Ich habe Wut und aggressive Gefühle in früheren Zeiten aufgrund der negativ erlebten Erfahrungen mit aggressivem und wütenden Verhalten meiner Umwelt kategorisch abgelehnt. Somit habe ich die berechtigterweise gefühlte Wut lieber gegen mich selbst gerichtet, anstatt auf andere, die es vielleicht verdient hätten.

Wut als Kraft in mir habe ich erst in späteren Lebensjahren, im Erwachsenenleben entdeckt.

Ein Teil des verletzten Teils in mir ist auch das Leben meiner Mutter. Ihr Leben, in das ich mich immer hinein versetzt habe, und das ich zum Teil mit übernommen habe. Aus Mitgefühl und Mitleid habe ich mich mit ihr irgendwo zur Mitgefangenen gemacht. Ich habe mich auf ihre Seite gestellt und habe dadurch die Wut meines Vaters richtig abbekommen.

Auf der anderen Seite habe ich ein Stück der Gefangenschaft meines Vaters ausgelebt, der sich ebenfalls gefangen gefühlt hat. Das habe ich auch stellvertretend für ihn miterlebt und - sozusagen dummerweise – in mich hineingenommen. Auf diese Weise habe ich die Eltern-Erfahrungen gespeichert und meine eigenen Erfahrungen dazu, die einen so großen verletzten Teil entstehen haben lassen.

Der Wut-Teil bringt eine große Portion Eigenwilligkeit und Unkonventionalität mit sich – und wegen des unsicheren Heimatbodens auch etwas „Eigenes“ sowie Toleranz – weil man eine andere Sichtweise gewinnt, und nicht nur das Bestehende als Althergebrachtes übernimmt und akzeptiert (wie wenn man das täte, wenn das Leben so in Ordnung wäre).

Dadurch, dass Vieles nicht in Ordnung ist, entsteht notwendigerweise eine Tendenz in eine andere Richtung und eine Toleranz gegenüber anderen Lebensformen. Wenn die Wut mit ihrer Dynamik da ist und sie positiv genutzt werden kann, hört sie irgendwann wieder auf und ist dann befriedet. Das heißt, es entsteht ein innerer Friede und das vermeintlich Destruktive der Wut kann als etwas Gewinnbringendes kreativ umgesetzt und in die Welt gebracht werden.

(Wir lachen.)

Noch einmal zurück zum verletzten Teil. Beim Betrachten des verletztenTeils bekam ich das Gefühl, das ist wie ein Krebsgeschwür, das immer mehr wuchert. So schaut es auf dem Bild aus. Ich habe mir die Zeichnung angeschaut und mich gefragt:

Um Gottes Himmels Willen, was mache ich denn da jetzt, so dass sich das Krebsgeschwür nicht weiter ausbreitet? Was kann ich also tun, um das Fortschreiten einer unkontrollierbaren Negativentwicklung zu verhindern?

(Wir lachen.)

Seelenbild: Liebe und Heilung

J.W.: Von daher kam die Idee, drumherum einen Puffer anzulegen, mit der Frage: Was braucht der verletzte Teil? Er braucht Liebe und Heilung. Also habe ich ihn symbolisch mit einer schönen Farbe der Liebe und der Heilung (rosa-pinkfarben) eingehüllt. Damit schaut das “Krebsgeschwür” schon einmal ganz anders aus, und wirkt schon sehr viel harmloser. Es wuchert nicht mehr weiter, sondern ist in einen schützenden und Geborgenheit spendenden Rahmen eingebunden. Übertragen auf die Realität heißt das natürlich auch: Wie kann ich mir zu den erlebten Blessuren einen liebevoll-heilenden Ausgleich in meinem Leben schaffen?

Seelenbild: Ruhe und Ausgleich

J.W.: Und was braucht der Wut-Teil, der so viel Dynamik und Spannung besitzt? Wo man dazu tendiert, sich völlig zu verausgaben – die letzte Kraft in die weite Welt hinauszuschleudern? Dieser Teil braucht Ruhe und Ausgleich (durch eine Ruhe spendende blaue Umrandung).

Mit den unteren Teilen des Seelenbildes entsteht der untere Kreislauf, wo es viel Kampf, Auseinandersetzung und Dynamik gibt. Das ist der schwierige und schwere Teil, der aber durch die entstehende Reibung ein ordentliches Maß an Energie liefert. Die unteren Teile lassen unter ungünstigen Bedingungen und /oder bei einer eigenen inneren Schwächung einen Negativkreislauf entstehen, der mit Verletzung, Sich-Gefangenfühlen, Kraftverschleiß durch überzogenen Ehrgeiz und sich Verausgaben in der Welt einhergeht und zu depressiven Gefühlen, Erschöpftheit und Krankheit führen kann.

Dann besteht die Kunst darin, zu den anderen Teilen nach oben im Seelenbild bzw. Seelenbaum zu gelangen. Das ist dann das Ziel und der Ausweg, denn es gibt ja nicht nur schwierige Teile mit Wut, Verletzung und Strenge, also den unteren Negativkreislauf, sondern es gibt auch den oberen positiven Zyklus.

Der obere Kreislauf im Seelenbild

Leichter, unbeschwerter, kreativer Teil mit Entwicklungsmöglichkeiten und Entfaltung

Seelenbild: leichter Teil
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Kreativität und Leichtigkeit“, CC BY-NC-ND 4.0

Wie schon angedeutet bringt der Wut-Anteil eine ganze Fülle an positiven Blüten mit sich: Die Kraft, den eigenen Weg, Sich-selbst-treu-sein mit neuen sich eröffnenden Welten. Denn aus all der Kraft und Dynamik, die ja schon etwas sehr Positives und die Welt Bewegendes sind, transformiert sich plötzlich ein leichter, kreativer Teil mit künstlerischem Potential und Sinn für Schönheit.

Als „Ableger“ der Wut entsteht z.B. auch der humorvolle Teil. Irgendwann kann man auch von Herzen lachen über all die Tragik und Aufregung im Leben. Auf dem Boden des Humors entsteht etwas Leichtes, Unbeschwertes. Deswegen habe ich diesen Teil leichten, unbeschwerten, kreativen Teil genannt. Denn mit der Leichtigkeit zeigen sich plötzlich ganz neue Seiten, dargestellt durch ganz viele kleine Blüten unterschiedlicher Art, die im Wachsen sind und zum Erblühen gebracht werden können: Kreativität, Kunst, Abenteuerlust, das Weibliche, Verführerische. Mit dem Kreativen und Künstlerischen gehen Musik, Tanz, Malen, Schreiben, Lesen, Liebe für das Denken, Nachdenken, Ideen haben, Reisen (gehört zur Abenteuerin) einher.

In dem Bereich gibt es viele Entwicklungsmöglichkeiten, ungeahnte Talente und Können. Hier kann noch viel entstehen, das ist ein Wachstumsbereich.

Da ist etwas Schönes, was meinem künstlerischen Wesen entspricht … und was momentan in meinem Leben noch zu wenig zur Wirkung kommt. Der Heileraspekt, den mein sozialer Beruf mit sich bringt, steht in meinem Leben meistens im Vordergrund: Das Künstlerische bildet eher einen Nebenaspekt, obwohl das eigentlich meine „Grundessenz“ ausmacht.

Seelenbild: der liebende Teil

Der liebende Teil im Seelenbild
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Liebe und Frieden“, CC BY-NC-ND 4.0

Der sensible, mittlere Teil mit Verstehen und Analysieren macht einen Entwicklungssprung, und es entsteht der liebende Teil: Ein Gefühl der Liebe für Andere, ein fürsorglicher Teil. Das ist etwas ganz Schönes, was mit vielen Aspekten verbunden ist, auch mit Selbstliebe, Selbstfürsorge und einem Gefühl von Geborgenheit.

Für mich gehört hier auch die Partnerschaft mit dazu und das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Verbundenheit mit anderen. Auch die eigene Familie, die ich in dem Sinne durch eigene Kinder (noch) nicht habe, was eine Sehnsucht ist. Diesen Wunsch habe ich mir ein wenig über mein Patenkind erfüllt. Die Themen Wahlfamilie, Freunde und Seelenverwandte sind somit auch hier beheimatet.

Mit dem liebenden Teil kommt mein Interesse für Heilkunde und Psychologie, also der Heiler-Aspekt, von dem ich schon gesprochen hab, der ein großes Gewicht in meinem Leben hat, verstärkt zum Vorschein.

Viabilia: Kannst du nochmals erklären, wie es dazu kommt, dass dieser liebende Teil entstanden ist?

J.W.: In meiner Kindheit war ich von so viel Trostlosigkeit umgeben und dem Gegenteil von dem, was man mit Liebe in Verbindung bringen würde. Ich habe mich folglich gegen diese Lieblosigkeit und psychische Gewalt aufgelehnt. Ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass das lieblose Dasein die Realität in meinem Leben sein sollte und habe von daher das Gegenteil dessen, was ich erlebt habe, angestrebt. Somit war ich bestrebt, eine liebevolle Haltung einzunehmen. Auch im Verstehenwollen der Motive der anderen und der Personen, die mir Leid zugefügt haben, kommt es zu einer inneren Annäherung. Im Verstehen des “Täters” verliert dieser seinen Schrecken und wird wieder zu einem Menschen, der halt leider Schwächen hat, die dazu führen, dass andere darunter leiden.

Und bei so viel Leid, das ich um mich herum wahrgenommen hab, schien es mir als der einzige sinnvolle (Aus)Weg, helfend und unterstützend eine liebevolle und anderen Gutes wollende Haltung einzunehmen, mit der zumindest ein wenig Trost und Heil in der Welt sein würde.

Somit hab ich der Liebe immer einen besonderen Stellenwert im Leben gegeben und habe mir eine helfende und unterstützende Rolle zu eigen gemacht, mit der ich je nach eigenem Befinden, mal mehr mal weniger liebend auf meine Mitmenschen zugehen kann.

Zum liebenden Teil sind also Verbindungen von allen Seiten da. Der liebende Teil wird wie bei einer Blume genährt: von unten über den sensiblen Teil ebenso wie vom leichten, unbeschwerten Teil und vom spirituellen Teil. Wo ich meine Cappuccino-Trinkzeremonien mit Wohlbefinden, Relaxen, Denken und liebevollen Gefühlen genussvoll verbinde. Mit diesem Wohlbefinden und dem liebenden Teil entsteht ein innerer Frieden und Glück – wenn ich mich im oberen Kreislauf befinde.

Seelenbild mit dem spirituellen Teil

Dann gibt es noch einen weiteren Teil: den glaubenden, spirituellen Teil. Der spirituelle Teil ergänzt das Liebende. Er ist einmal aus der Not geboren, durch den verletzten Teil. Zum anderen wird er vom liebenden Teil genährt. Mit dem Wissen: „Ja, es ist einfach so, es gibt Liebe auf der Welt, und die Liebe ist das Ziel, wo es hingehen soll.“ Es ist die Hoffnung, dass die Liebe das Wesentliche ist, und es ist das Wissen, dass es so ist.

Den spirituellen Teil habe ich mit Erlösung und Freiheit überschrieben.

Viabilia: Ewiges Leben?

J.W.: Ja, ich gehe schon davon aus, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Dass das Leben dann nicht beendet ist, sondern in einer Art und Weise immer fortgesetzt wird. Hier stellt sich auch die Frage: Was ist die Verbindung zwischen diesem Erdenleben und diesem anderen Leben, das woanders hin gerichtet ist. Hierzu gehören die medialen Dinge, zu denen ich leider wenig eigenen Zugang habe, ich aber daran glaube, dass es Menschen gibt, die eine Brücke zwischen dem erdgebundenen, realen Leben und dem „anderen“, nicht körperlich gebundenen, jenseitigen Seelenzuständen schlagen können.

Seelenbild mit spirituellem Teil
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Spiritualität“, CC BY-NC-ND 4.0

Als Gesamtbild ist dann dieser Baum mit den unterschiedlichen vier Ecken entstanden. Die Ecken repräsentieren unterschiedliche Teile:

Seelenbild: zuversichtliche Frau
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Zuversichtliche Frau“, CC BY-NC-ND 4.0

Auf der anderen Seite die Frau, die auf dem Einhorn reitet: Sie geht tatkräftig ins Leben, ist kämpferisch und erobert. Sie ist zuversichtlich, dass ihr die Welt offen steht und sie diese beeinflussen kann.

Seelenbild: Frau mit Wolf
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Frau, die Wolf umarmt“, CC BY-NC-ND 4.0

Der verletzte Teil mit der Hoffnung auf Heilung und Geborgenheit. Es ist wichtig, dass beides zusammengehört: Die Verletzung ist nicht nur Verletzung, sondern stets mit der Hoffnung auf Heilung und Geborgenheit verbunden. Daher dieses zwiespältige Bild der Gefahr und gleichzeitig der Geborgenheit durch die Umarmung der zarten und verletzlichen Frau mit dem Wolf, dem Wesen, das eine potentielle Gefahr darstellt.

Seelenbild mit Ausschnitt Sonne
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Sonne“, CC BY-NC-ND 4.0

Die Sonne links oben im Bild repräsentiert Lebenskraft und satte Lebensfreude: Die Sonnenstrahlen reichen in das Bild hinein und geben dem Leben mit allem, was es mit sich bringt, Freude.

Seelenbild mit Ausschnitt Engel
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild „Engel“, CC BY-NC-ND 4.0

Rechts oben ist die Geborgenheit im Spirituellen, im Wissen, dass noch etwas Anderes da ist, was trägt und tragen hilft. Es ist nicht nur so, dass ich alles alleine bewältigen muss, sondern es gibt noch eine Berührung und Verbundenheit mit einer anderen Welt, aus der es ebenfalls Hilfe und Unterstützung gibt, und die die Strebensrichtung der inneren Entwicklung aufzeigt.

So stellt das Seelenbild eine ziemliche Fülle dar, was ich zu Anfang gar nicht gedacht hätte.

Seelenbild - oberer Kreislauf
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild - oberer Kreislauf, CC BY-NC-ND 4.0

Das Seelenbild ist ein positives Beispiel dafür, dass es möglich ist, aus den inneren Zwängen und Verletzungen herauszukommen, selbst wenn es immer wieder vielleicht nur vorübergehend und nicht beständig ist.

Aus dem Leid heraus ist es möglich, sich in eine positive Richtung zu entwickeln, die zu einer großen und ungeahnten Erweiterung führen kann. Von daher sollte man den Glauben an eine Veränderungsmöglichkeit in sich nie aufgeben. Denn das Leben zeigt immer wieder, dass das Verlassen des Negativkreislaufes zu etwas Höherem und Leichteren möglich ist. Ja, es ist möglich, die Liebe, die Geborgenheit im Leben und in der Welt, sowie Fülle des Seins immer wieder zu erfahren und erleben zu dürfen.

J.W.: Ich habe am Ende meine Worte bewusst allgemein formuliert. Denn das, was ich aus mir mit Hilfe des Seelenbildes herausgeholt und mir bewusst gemacht habe, gilt nicht nur für mich. Ich bin davon überzeugt, das jeder enorme Schätze in sich trägt, die einen oft gar nicht bewusst sind. Das Erstellen eines eigenen Seelenbildes kann dazu verhelfen, sich der eigenen inneren Kräfte und Schätze bewusst zu werden und Lösungen für scheinbar unlösbare Lebensprobleme und verfahrende Situationen zu finden. Somit ist das von mir so bezeichnete “Seelenbild” eine Erweiterung zur Ego-State-Darstellung in der Traumatherapie. Denn das Seelenbild macht auch das Gute und die Entwicklungspotentiale in einem sichtbar und ist somit eine Möglichkeit für jeden, ob mit inneren Verletzungen oder ohne, durch das Kennenlernen der eigenen Person für sich zu profitieren.

Seelenbild-Ausschnitt Liebe
© Foto: Betina Graf, Zeichnung: J.W., Seelenbild-Ausschnitt „Liebe“, CC BY-NC-ND 4.0