Ein Haus, eine Oma, viele bunte Ostereier – und ein einziges ganz besonderes: das erste rote Ei, das im bulgarischen Dorf als Schutzei gilt. Kalin war sicher, dass es wie immer „für ihn“ ist. Doch dieses Mal bekommt seine kleine Schwester Stela die ganze Aufmerksamkeit. Ob er jetzt wirklich weniger wichtig ist – oder ob Kalin entdeckt, dass seine Rolle in der Familie größer ist, als er denkt?
Unten auf der Seite gibt es die Ostergeschichte „Ein rotes Ei für zwei“ als PDF zum Download sowie Quizkarten zum Osterbrauch der Hufeisen-Eier.
Steckbrief zur Ostergeschichte mit dem Osterbrauch in Bulgarien
Hier zunächst eine kurze Übersicht zur Geschichte „Ein rotes Ei für zwei“ – mit Altersgruppe, Themen und zentralen Botschaften:
| Kriterium | Klassifizierung |
|---|---|
| Gehört zu | Ostergeschichten, Kindergeschichten, kurze Geschichten, Geschichten für die Grundschule |
| Altersgruppe | Zum Vorlesen: ca. 5 bis 9 Jahre (Lesezeit 3 bis 4 Minuten) Zum Selberlesen: ca. 7 – 10 Jahre (Grundschule ) |
| Osterbrauch | Erstes rotes Osterei zu Ostern (Velikden) in Bulgarien, mit dem ein Kreuz auf die Stirn der Kinder gemacht wird und das als Schutzei bei der Ikone bleibt |
| Themen | Geschwisterbeziehung, Eifersucht und Zugehörigkeit, sich veränderte Rollen in der Familie, Mut zum Trösten, liebevolle Tradition mit der Großmutter |
| Botschaften | Geschwisterbeziehung, Eifersucht und Zugehörigkeit, sich veränderte Rollen in der Familie, Mut zum Trösten, liebevolle Tradition mit der Großmutter |
| Wenn ein Baby dazukommt, wird der ältere Bruder nicht unwichtiger, sondern seine Bedeutung wächst. | |
| Stark sein bedeutet nicht, immer im Mittelpunkt zu stehen, sondern auch andere zu trösten und ihnen Sicherheit zu geben. |
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Ein rotes Ei für zwei
Im Wohnzimmer von Kalins Familie stand ein kleiner Tisch mit einer weißen Decke. Daneben ein Topf mit noch warmen Eiern. Draußen bellte irgendwo ein Hund, drinnen knisterte nur der Herd.
„Heute machen wir die ersten Ostereier“, sagte Baba. „In Bulgarien beginnt Ostern mit Rot.“
Sie stellte eine Schüssel mit roter Farbe hin. Kalin mochte diese Szene: der Essiggeruch, das leise Klacken der Eier. Früher war das sein Moment gewesen. Damals war er „der Große“ gewesen. Jetzt gab es noch jemanden: seine kleine Schwester Stela.
„Dieses Jahr ist Stelas erstes Velikden“, rief Mama. „Ihr erstes Osterfest!“
Alle lachten, nur Kalin nicht. Stela konnte ja kaum „Ei“ sagen, und trotzdem redeten alle von ihr.
Baba ließ das erste Ei langsam in die rote Farbe gleiten. „Das erste Ei ist wichtig“, erklärte sie wie jedes Jahr. „Damit mache ich euch ein Kreuz auf die Stirn. Für Gesundheit. Dann bleibt es bei der Ikone, bis zum nächsten Ostern.“
Früher hatte Kalin diesen Moment geliebt. Das warme Ei auf der Haut, Babas Hand, ihr Blick. Heute verschränkte er die Arme.
Baba holte das tiefrote Ei aus der Schüssel, tupfte es trocken und beugte sich – zu Stela.
„Für unsere Kleinste“, murmelte sie. Behutsam strich sie der Kleinen ein Kreuz auf die Stirn. Stela kicherte und patschte begeistert nach dem Ei.
In Kalins Bauch zog es sich zusammen. Immer Stela zuerst, dachte er. Als Baba sich zu ihm drehte, wich er einen Schritt zurück.
„Ich brauche das nicht“, sagte er. „Ich bin schon groß.“
Den Rest der Eier färbten sie bunt. Kalin tat so, als wäre er beschäftigt, aber er sah, wie Baba das erste rote Ei neben die Ikone stellte. Früher war das „sein“ Ei gewesen.
Später am Abend saß Kalin im Flur und schob seinen Spielzeuglaster hin und her. Aus dem Zimmer hörte er plötzlich Stelas Wimmern. Der Wind rüttelte draußen an der Tür, irgendwo knallte ein Fenster.
Kalin seufzte und ging zu ihr. Stela stand im Bettchen, die Augen voller Tränen. „Alles gut“, murmelte er. „Das war nur der Wind.“
Sie ließ sich nicht beruhigen. Da erinnerte sich Kalin an das erste rote Ei. Leise schlich er ins Wohnzimmer, nahm es vorsichtig aus der Schale und hielt es Stela hin.
„Siehst du das?“, flüsterte er. „Das ist das stärkste Ei im ganzen Haus. Baba sagt, es passt auf uns auf. Und ich auch.“
Stela schniefte, legte ihre kleine Hand auf seine. Für einen Moment waren sie ganz still. Dann hörte das Wimmern auf.
Am nächsten Morgen stellte Baba das Ei wieder zur Ikone. „Weißt du, Kalin“, meinte sie, „heute sieht das Ei aus, als hätte es gleich zwei Kinder im Blick gehabt.“
Kalin wurde rot im Gesicht. „Vielleicht“, meinte er, „passt es besonders auf große Brüder auf. Die kleine Schwestern trösten.“
Baba sah ihn lange an, nahm das Ei noch einmal in die Hand und machte ihm ein Kreuz auf die Stirn.
„Nicht, weil du klein bist“, sagte sie. „Sondern weil du groß genug bist, für zwei stark zu sein.“
Diesmal wich Kalin nicht aus. Das Ei war warm. Und zum ersten Mal fand er es gut, dass er nicht mehr der Einzige war.

Osterbrauch in Bulgarien
In Bulgarien hat das erste rote Ei zu Ostern (Velikden) eine ganz besondere Bedeutung. Am Gründonnerstag färbt meist die älteste Frau im Haus die Eier. Das allererste Ei wird tiefrot gefärbt, vorsichtig abgetrocknet und dann benutzt sie es, um den Kindern ein kleines Kreuz auf die Stirn oder die Wange zu zeichnen – als Wunsch für Gesundheit, Glück und Schutz im neuen Jahr.
Anschließend bekommt dieses Ei einen Ehrenplatz, meist bei einer Ikone oder in einer „Gebetsecke“. Dort bleibt es bis zum nächsten Osterfest als eine Art Schutzei für die Familie, während die übrigen bunten Eier später gegessen oder beim Eierklopfen-Spiel verwendet werden.1
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Ostergeschichte als PDF-Datei zum Ausdrucken:
Kleiner Hinweis: Sammeln Sie die Quizkarten zu jeder Osterbrauch-Geschichte von Viabilia, dann entsteht nach und nach ein kleines Europa-Osterquiz, mit dem Kinder spielerisch entdecken können, wie unterschiedlich Ostern in den verschiedenen Ländern gefeiert wird. Demnächst bekommen alle Newsletter-Abonnent*innen eine kleine Zugabe zu diesen Quizkarten.
Nun wünsche ich Ihnen viel Freude mit den Ostergeschichten!
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Fußnote
- Traditionell ist dieses erste rote Ei in Bulgarien tatsächlich ein gekochtes Ei, kein ausgeblasenes. Es wird gefärbt, gesegnet (sozusagen) und dann an den Ehrenplatz gelegt. In vielen Haushalten trocknet das Ei mit der Zeit einfach aus und schrumpft innen zusammen, statt richtig zu verderben – vor allem, wenn die Schale intakt bleibt und es trocken steht.
Heute machen es aber nicht alle gleich: Manche Familien nehmen nach einiger Zeit das alte Ei weg oder ersetzen es durch ein Holzei, Keramik-Ei oder ein ausgeblasenes Ei, wenn ihnen der Gedanke unangenehm ist. Der Brauch ist derselbe – wichtiger als das „Material“ ist die Symbolik: ein rotes Ei als Zeichen von Schutz und Segen für die Familie. ↩︎













